Market talk - Tanz auf dem Vulkan
Gier und geopolitische Unsicherheit - eine explosive Mischung
Ich bin ja wirklich nicht als Crashprophet bekannt. Ich bin eher ein Vertreter der Fraktion „Die Bären mögen clever klingen, aber die Kohle machen die Bullen“ und kein zögerlicher Bedenkenträger. „Wer auf die ewigen Crashpropheten dieser Welt hört, darf sich nicht wundern, wenn er nicht dabei ist, wenn die Börse Party feiert.“ Der letzte Satz stammt übrigens sinngemäß vom Analysten und Dauer-Bullen Dan Ives.
Krisen, Angst und Unsicherheiten konnten mich nie erschrecken. Sorglosigkeit und undifferenzierter Optimismus allerdings schon. Gerade deshalb halte ich es für geboten, meine aktuelle Skepsis hier zu artikulieren. Die Beobachtung der Märkte wirft bei mir immer öfter Fragen auf, wie:
Wie viel Optimismus ist in den aktuellen Kursen schon eingepreist?
Werden die Risiken von den Marktteilnehmern überhaupt noch angemessen berücksichtigt?
Markiert der übermäßiger Optimismus einen Wendepunkt und das Ende einer langen Phase steigender Kurse?
Droht bald eine heftige Korrektur oder gar ein Crash?
André Kostolany verdanken wir die Erkenntnis, dass eine Hausse
in der Panik geboren wird,
in der Angst wächst,
im Optimismus reift und schließlich
in der Euphorie stirbt.
Solche Börsenweisheiten sind konzentriertes Erfahrungswissen. Mir ist aufgrund dessen Angst immer wesentlich lieber gewesen als Gier. Denn Angst hält kurzfristig orientierte Spekulanten fern und reduziert tendenziell die Crashwahrscheinlichkeit. Aktuell scheinen jedoch großer Optimismus bzw. überzogene Erwartungen den Markt zu beherrschen. Das kann sehr gefährlich sein.
Die Börsen zeigen sich von allen Turbulenzen nahezu unbeeindruckt. Wer dachte, dass die überraschenden Militärschläge gegen den Iran oder die erratische Handelspolitik Trumps nennenswerte Spuren in den Kursverläufen hinterlassen würden, wurde eines Besseren belehrt.
Indizes dies und jenseits des Atlantiks, ob DAX, Dow, S&P 500 oder TecDax und Nasdaq, alle bewegen sich auf Rekordniveau oder zumindest nahe an den historischen Rekordhochs. Die Fallhöhe ist also groß.
Dabei kann man immer dasselbe Muster beobachten: erst Drohungen gefolgt von kräftigen Kursrückschlägen, dann das Einlenken und eine schnelle Gegenbewegung an den Märkten. Ist es ein Gewöhnungseffekt oder Sorglosigkeit, die die Mehrheit der Anleger*innen so unbeeindruckt lässt? Für mich ist es beunruhigend und schwer einzuordnen.
Sind das Indizien einer Phase der Übertreibung nach oben?
Sollte es doch zur (von Experten als unwahrscheinlich angesehenen) Blockade der Straße von Hormus durch den Iran kommen, würde der Ölpreis explodieren und die Blockade könnte einen Flächenbrand auslösen, dazu kommt Trumps chaotische Zoll- und Budgetpolitik und viele andere geo- und wirtschaftspolitische Unsicherheiten.
Für mich ist die Verlustwahrscheinlichkeit nach zwei Rekordjahren Grund genug um vorsichtig, zu sein. Ich bin frei von Angst etwas zu versäumen, nicht gierig., denke langfristig und halte es daher in der aktuellen Situation für durchaus angemessen, das Risiko zumindest zu reduzieren und die Cashreserven aufzustocken. Teilrealisierungen und Diversifikation sind für mich somit das Gebot der Stunde, um die Gewinne im Bestand und die Rendite abzusichern.
Natürlich muss man sich dabei mit schwierigen und unangenehmen Fragen herumschlagen. Es ist schließlich immer besser, in Ruhe vorzudenken und sich für den Fall der Fälle vorzubereiten, als dann in Krisenzeiten in emotionalen Aktionismus zu verfallen und sich so die Rendite zu ruinieren.
Fazit
Das Notwendige entspricht leider nicht immer der Intuition. Der Mensch als “FOMO-Sapiens” (FOMO - the Fear Of Missing Out ist die Angst, etwas zu versäumen) realisiert eben nicht gerne Gewinne - „Es könnte ja weiter nach oben gehen“. Er realisiert Gewinne aber auch nicht gerne, wenn es nach unten geht - “Es könnte ja wieder nach oben gehen”. Mit anderen Worten, der Mensch hat immer ein Problem mit Gewinnrealisierungen. Dasselbe Phänomen gilt auch für Verluste. Mit einem entscheidenden Unterschied: Wegen Gewinnmitnahmen ist noch niemand arm geworden - im Gegensatz zur Nichtmitnahme! Darüber sollte man auch mal nachdenken.
Damit komme ich zum nächsten wunden Punkt im Zusammenhang mit menschlichen Verhaltensmustern: “Der Erfolg gibt so lange Recht, bis er weg ist.”
Der Mensch ist also ein Meister der Extrapolation der erlebten Gegenwart. Manche nennen diesen Denkfehler auch Verfügbarkeitsverzerrung. Steigen die Kurse, kann sich niemand vorstellen, dass es auch anders sein kann. Wenn es runtergeht, glaubt man nicht, dass es nach einem Durchatmen wieder bergauf gehen kann. Der einzige Schutz ist Selbstreflexion. Deshalb ist es wichtig, sein Handeln und seine Meinungen selbstkritisch zu hinterfragen. Mit den Verhaltensregeln „Drei Fragen beim Kauf“ und „regelmäßiger Portfolio-Review“ versuche ich Bewusstsein zu schaffen, um diesen Denkfehlern systematisch entgegenzuwirken. Damit schafft man eine gute Voraussetzung, um sich im Bewusstsein dieser menschlichen Verhaltensmuster, die Dynamik selbst zu Nutze zu machen.
Das Gute ist
… als langfristiger Anleger darf man sich auch mal irren. Was zählt, sind Wahrscheinlichkeiten und eine angemessene Fehlerkultur. Man kann und muss nicht immer richtig liegen. Wenn nichts passiert, soll es mir auch recht sein. Ich bin ja trotzdem dabei, und zugunsten der Sicherheit ein bisschen Performance liegen zu lassen, scheint der Lage angemessen. Ich betone noch einmal, es ist nur meine persönliche Einschätzung und nicht mehr. Erst die Zukunft wird zeigen, wer Recht hatte.
Im Falle von undifferenzierten Übertreibungen nach unten bieten sich während Konsolidierungsphasen mit Sicherheit wieder hervorragende Einstiegschancen, die später dann die Basis für zukünftige Erfolge bilden. (Motto: „buy the dip“).
Vorausgesetzt natürlich, man ist bereit und hat Mut und die notwendigen Reserven, um die Chancen auch wirklich zu nutzen.
Nur eines ist sicher: Die nächste Krise kommt bestimmt! Sie wird wie immer Angst und Schrecken verbreiten, aber auch viele Chancen für die Zukunft.